21-09-05 Getragen
Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen. 2. Mose 33,22–23 Manches ergibt erst in der Rückschau einen Sinn, lehrt uns die eigene Erfahrung. Bei Gott ist das nicht anders. Wir sehnen uns vielleicht gerade heute nach Gottes Gegenwart, erwarten jetzt ein Zeichen seiner Nähe. Wo ist er? Wann lasst er sich blicken – falls uberhaupt? Mose hatte diese Sehnsucht, Gottes Angesicht zu sehen. Er forderte Gott heraus, sich ihm direkt zu zeigen! Und Gott antwortete ihm: „Mein Gesicht darfst du nicht sehen, denn kein Mensch, der mich gesehen hat, bleibt am Leben!" (V. 20 Hfa) Keine so gu-ten Aussichten! Doch Gott erteilt Mose keine Abfuhr, sondern stellt lediglich die Verhältnisse klar: Hier der ewige Gott, dort der sterbliche Adamssohn – eine direkte Begegnung war un-ter diesen Voraussetzungen nicht möglich. Der Text endet hier aber nicht, weiter heißt es: „Aber du kannst hier bei mir auf dem Felsen stehen." (V. 21 Hfa) Gott verschafft Mose einen „Platz bei sich" (vgl. EB) und erklärt ihm, wie das Ganze ablaufen wird: Meine Herrlichkeit wird an dir voruberziehen, ich werde dich schutzen, bis ich an dir vorubergegangen bin, da-nach kannst du mir hinterhersehen – denn „mein Angesicht darf nicht gesehen werden" (V. 23 EB). Merkwürdig das Ganze – was hat es uns zu sagen? Wir können Gott immer nur indi-rekt und im Nachhinein erkennen. Seine Wege sind uns verborgen, sie sind „viel höher als unsere Wege und Gedanken" (vgl. Jes 55,9). Und während er an uns vorüberzieht und wir das Gefühl haben, isoliert und im Dunkeln tappend mit dem Rücken zur Wand zu stehen, hält er uns die ganze Zeit schützend. Wenn sich der Schleier lüftet, erkennen wir zwar „nur" den Rücken Gottes, aber spüren zugleich: Es war seine Barmherzigkeit, die uns gehalten hat. Die Autorin Mary Stevenson hatte dies vor Augen, als sie 1939 ihren berühmt gewordenen Traum von den Fusspuren im Sand aufschrieb. Sie fragt in dem Gedicht: „Wo warst du, Gott, als ich dich am dringendsten gebraucht habe?", und meinte: Ich sehe nur eine Spur! Du warst nicht bei mir! Wir kennen die Pointe – Gott sagt: „Nein, es war ganz anders: Ich habe dich getragen." Daniel Wildemann
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Bibellese: Morgens: Psalm 135–136 Abends: 1. Korinther 12