2020-01-26 behütet - behüten
Er wird nicht streiten noch schreien, und man wird seine Stimme nicht hören auf den Gassen; das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. Matthäus 12,19–20
Erst im Jahr 1996 erklärte der damalige Bundespräsident Roman Herzog den 27. Januar zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus – zur Erinnerung an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die alliierten Truppen am 27. Januar 1945. Nathan Grossmann, 1927 in der Nähe von Lódz in Polen geboren, ist Holocaust-Überlebender. Ich hörte seine Geschichte bei einem Zeitzeugenabend im Jüdischen Museum in München. Unter Zwang wurde er mit seiner Familie ins Ghetto Lódz umgesiedelt. Seine Eltern Bluma und Avram starben dort, sein Bruder Ber verlor in Russland sein Leben. Kurz vor Auflösung des Ghettos kam Nathan nach Auschwitz. Er überlebte das Grauen. „Ich wurde am 2. Mai 1945 neu geboren", sagt er. Das Standesamt Ludwigslust fertigte ihm am 2.5.2017 für den 2. Mai 1945 symbolisch eine Geburtsurkunde über ein neues Leben aus. In dem Dokumentarfilm Linie 41 hielt Tanja Cummings seine Geschichte fest. Das Einzelschicksal eines Überlebenden unter Millionen, die durch die Vernichtungsmaschinerie der Nazis umgebracht wurden. Ja, es gab auch Retter und Helfer, doch Hunderttausende „Christen" haben mitgeholfen, stillgehalten, zugesehen, weggeschaut. „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen." Eine Messiasverheißung des Propheten Jesaja, die Jesus bei einer seiner Predigten in der Synagoge (Mt 12,20) auf sich bezieht. Ein einprägsames Bild: das geknickte Schilfrohr. Er zertritt es nicht, er richtet es auf. Dem schon am Boden Liegenden versetzt er nicht den vernichtenden Fußtritt, sondern hilft ihm aufzustehen. Dem gerade noch glimmenden Licht der Öllampe löscht er nicht den letzten Lebensfunken, sondern bringt es wieder zum Leuchten. Mehr als 70 Jahre nach Kriegsende und Holocaust erleben wir erneut Antisemitismus, Diskriminierung und Menschenverachtung jeder Art. Doch gerade als Nachfolger von Christus sind wir berufen, das Schwache aufzurichten, das Verlöschende neu anzuzünden und den Menschen, denen wir heute begegnen, ein Stück Hoffnung und Mut zu bringen. Heidemarie Klingeberg