20-05-17 Ich bin versorgt
Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Psalm 23,2
Obwohl David von sich spricht und von dem, was ihm die Nähe des „Hirten" bedeutet, sieht er sich nicht im Mittelpunkt des Geschehens. Sein Blick ist auf Gott gerichtet. In der Übersetzung von Martin Luther oder einer neueren sprachlichen Fassung werden zwar die Gedanken exakt wiedergegeben – im Luthertext für mich sprachlich unnachahmlich schön –, aber es ist kaum etwas davon zu spüren, dass der Text in seiner hebräischen Urfassung einen kunstvollen literarischen Aufbau hat, einen sogenannten Parallelismus. Reiz und Aktualität des Psalms liegen in der geschickten Anordnung sich gegenüberstehender Bilder, welche die wesentlichsten Gesichtspunkte menschlichen Lebens enthalten. Es geht um Draußen und Drinnen, Friede und Gefahr, die Möglichkeit des Bösen wie des Guten, um das Erleben unheilschweren Dunkels, aber auch heilvoller Geborgenheit. Alle sprachlichen Kristallisationspunkte sind auf Gott ausgerichtet, dessen Liebe und Fürsorge, nicht endende Wachsamkeit und bleibende Gegenwart das Leben lebenswert machen und mit Befriedigung erfüllen. Das spürt man auch jenseits aller literarischen Strukturen an der Schilderung der vielfältigen Tätigkeiten Gottes, die im Psalm beschrieben werden: Er weidet, führt, erquickt, ist bei mir, tröstet, salbt, schenkt voll ein (V. 2.5). In dem, was David hier schildert, geht er weit über das hinaus, was er seinen Schafen auf den Höhen Judas damals als Hirte bieten konnte. Dort waren es oft nur karges Gestrüpp und halb ausgetrocknete Wasserlöcher. Er selbst aber hatte etwas viel Wertvolleres von Gott empfangen, für das er als ehemaliger Hirte keine besseren Bilder fand als „grüne Auen" und „frisches Wasser" – der Wunschtraum jedes orientalischen Hirten. Was damit gemeint sein könnte, drückte Martin Luther so aus: „Die Weide, wo Christus seine Schäflein weidet, ist auch das liebe Evangelium, durch das die Seelen gespeist und gestärkt, vor Irrtum bewahrt, in allen Anfechtungen und Trübsalen getröstet, wider des Teufels List und Gewalt geschützt und endlich aus aller Not gerettet werden." (Luthers Psalmenauslegungen 1959, S. 319) Ich wünsche uns, dass wir heute etwas sehen und schmecken dürfen von solch „grünen Auen" und „frischem Wasser". Günther Hampel