23-09-17 Gott, dem Menschen zugewandt
Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße und bringt das gemästete Kalb und schlachtet's; lasst uns essen und fröhlich sein! Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein. Lukas 15,22–24
Eine der brennenden Fragen des Glaubens lautet: Wie ist Gott? Um diesem Anliegen zu begegnen, stellt Jesus seinen Zuhörern einen Vater vor Augen, den sein jüngerer Sohn unverhohlen auffordert, ihm „sein" Erbe vorzeitig zuzuteilen. „Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht." (V. 12) Mir? – Und der Vater gehorcht diskussionslos, als habe er dessen Arroganz überhört. Darauf sammelt dieser Hab und Gut und macht sich aus dem Staub. Ihn lockt die große Freiheit. So betritt der Sohn wie einst Cäsar die Bühne der Welt und fängt an, seine Freiheit und seinen Wohlstand in vollen Zügen zu genießen. Und der Vater? Er schaut zu und schweigt. Worte sind nicht vonnöten. Wie Geld den Charakter verändert, so lehrt Not beten. So ist Gott: Er kann loslassen und warten. Was indes nicht auf sich warten lässt, ist für den Sohn die Stunde der Ernüchterung. Die harten Schläge der Wirklichkeit bringen ihn zum Nachdenken über das Janusgesicht der Welt und drängen ihn, den Weg nach Canossa unter die Füße zu nehmen. Das Experiment der Freiheit ist gescheitert. Spätestens jetzt wäre der Augenblick, mit dem Sohn Klartext zu reden und für die Zukunft den Tarif auszugeben. Doch nichts dergleichen. Der Sohn soll nicht wie einst Kaiser Heinrich drei Tage barfuß im Schnee in Sack und Asche stehend Papst Gregor um Gehör und Verzeihung bitten. Den Sohn erwarten zwei ausgestreckte Arme. Kein vorwurfsvoller Blick, kein anklagendes Wort, sondern einzig nur Tränen der Freude. So ist Gott, der Vater. Er kann unter die alten Geschichten einen Schlussstrich ziehen. Das Vergangene ist kein Thema mehr. Was zählt: „Du bist wieder da. Du bist mein Sohn; in deinem Angesicht erkenne ich mich wieder. Lass uns feiern und fröhlich sein." So ist Gott, der Vater. Gott kann den Sünder umarmen. Er begegnet seinen Kindern mit Respekt, erweist sich als Menschenfreund, versöhnt, stiftet Frieden. Nur eines kann Gott nicht: sein Herz vor seinen bittenden Kindern verschließen. So ist Gott, unser aller Vater.
Thomas Domanyi
Bibellese:
Morgens: Prediger 1–3
Abends: 2. Korinther 11,16–33
© Advent-Verlag Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung
Die hier wiedergegebene Andacht ist aus dem Andachtsbuch des Advent-Verlag Lüneburg entnommen. Die folgenden Links führen zu verschiedenen Versionen des aktuellen Andachtsbuchs: als Buch, als PDF.