23-01-22 Gnädig sein wie Gott
Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen aufschlug, sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus. Apostelgeschichte 9,8
Um Leute in ihrem religiösen Eifer zu stoppen, braucht es manchmal drastische Maßnahmen. So dachte sich Gott wahrscheinlich, als er Saulus auf Damaskus zureiten sah. Und dann knipst ihm Gott erst kurz das Licht an, dann drei Tage aus und dann wieder an. Ein Reboot – Neustart – sozusagen. Viele nennen es Bekehrung. Ich nenne es lieber Begegnung, denn das ist es: Er begegnet Jesus. Saulus wird fortan die Gnade predigen, denn dort – vor Damaskus im Staub liegend – hat er sie erlebt. Nicht ein Wort des Vorwurfs. Ein paar Handlungsanweisungen und die unglaubliche Wendung: Jesus braucht ihn. Blind erhebt er sich und streckt suchend die Hand aus. Dann steht da: „Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn." Die ins Dunkel gereckte Hand des Christusfeindes findet eine helfende Hand, die ihn führt. Später passiert etwas Beunruhigendes. Der Statthalter von Zypern ist dem Glauben gegenüber aufgeschlossen und Saulus will ihm eine Bibelstunde geben. Plötzlich gibt es da einen Barjesus. Wie Saulus kommt dieser aus dem jüdischen Glauben. Wie der alte Saulus will er nicht, dass der Statthalter ein Jesusfreak wird. Wie Saulus ehedem grätscht er fanatisch dazwischen. Und wie Saulus wird ihm erst einmal das Licht ausgeknipst und er tappt hilflos im Dunkeln. Weil Paulus (erst seit dieser Begegnung in Kapitel 13 wird er konsequent umbenannt) Briefe geschrieben hat, die wir heute als Bibel bezeichnen, und weil er Jesus persönlich auf spektakuläre Weise begegnet ist, denken wir leichtsinnig, Paulus habe alles richtig gemacht im Leben und Glauben. Ich habe da meine Zweifel. Paulus, vor Damaskus, hörte keine Vorwürfe von Jesus und ihm wurde eine helfende Hand gereicht. Barjesus hört nur Vorwürfe von Paulus und der Text betont: „[Barjesus] ging umher und suchte jemanden, der ihn an der Hand führte." (Apg 13,11) Wo war deine helfende Hand, Paulus? Das mit dem Splitter und dem Balken, das mit dem Schalksknecht, dem viele Schulden erlassen werden, der aber trotzdem seinen Kumpel würgt, weil er ihm einen Heiermann schuldet, das ist ein Lernen auf Lebenszeit. Gnade zu predigen ist das eine, gnädig zu sein wie Gott etwas anderes. Wir mögen bekehrt sein, aber wir haben viel zu lernen. Ich denke, Paulus würde mir da zustimmen.
Dennis Meier
Bibellese:
Morgens: 2. Mose 4–6
Abends: Matthäus 15,1–20
© Advent-Verlag Lüneburg - mit freundlicher Genehmigung
Die hier wiedergegebene Andacht ist aus dem Andachtsbuch des Advent-Verlag Lüneburg entnommen. Die folgenden Links führen zu verschiedenen Versionen des aktuellen Andachtsbuchs: als Buch, als PDF.